Geschichte

Vorwort

Vorausgeschickt werden muss, dass die Namensänderung in Evangelische Freie Gemeinde erst im Februar 2001 vorgenommen wurde. Vorher war die Gemeinde unter dem Namen „Evangelische Gemeinschaft Hüttenberg” oder davor auch „Gemeinschaft Hochelheim” bekannt und geläufig.

Über die Anfangszeit der Gemeinschaft Hochelheim gibt es wenig Aufzeichnungen. Bei der Suche nach Daten wurden wir teilweise in Festschriften anderer Gemeinden und Vereine fündig, aber auch mündliche Überlieferung bzw. eigenes Erleben ist für weite Teile der Chronik die Grundlage. Es liegt auf der Hand, dass deshalb dieser Bericht bei aller Sorgfalt nur unvollkommen und zum Teil ausschnitthaft ausfallen kann.

Zwei Anliegen verfolgen wir mit der Zusammenstellung dieser Gemeinde-Chronik: Zum einen wollen wir zeigen, dass Gott durch einfache Leute hier am Ort gewirkt hat. Er hat dafür gesorgt, dass Menschen zum lebendigen Glauben an ihn und sein Wort gefunden haben. Diese haben sich dann zusammengetan – oder wurden vielmehr von Gott zusammengestellt – und so entstand im Laufe der Jahre die Gemeinschaft Hochelheim. Gleichzeitig wollen wir aber auch die Erinnerung an die Geschichte der Gemeinde wach halten. Damit werden der nachfolgenden Generation oder auch anderen von außen hinzukommenden Gemeindegliedern Einblicke ermöglicht, die die verschiedenen Prägungen einzelner Gemeindeglieder oder auch der ganzen Gemeinde nachvollziehbar machen. Nicht zuletzt wollen wir ganz im Sinne des Neuen Testaments „unserer Anführer gedenken”, um von ihnen zu lernen, um besonders auch „ihren Glauben nachzuahmen” (Hebr. 13, 7).

1851 Die Anfänge im Kreis Wetzlar

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war in geistlicher Hinsicht eine karge Zeit. Der Rationalismus und die Aufklärung brauchten keinen Gott und so verflachte auch die biblische Verkündigung. In dieser Zeit jedoch, in den Jahren um 1830, war in Groß-Rechtenbach Pfarrer Lindenborn tätig, der als ein gewaltiger Bußprediger bezeichnet wird. Auf ihn gehen wohl die ersten Versammlungen außerhalb des sonntäglichen Gottesdienstes in Rechtenbach zurück.

„Privatversammlungen” in Privathäusern wurden mit einer Staatsverordnung vom 10. Juni 1835 untersagt. So wurden fortan die Stunden (…) im Verborgenen abgehalten. Unter diesen Zwängen litt auch die Arbeit in Groß-Rechtenbach. Erst 1848 wurde dieser Erlass wieder aufgehoben.

Die Wirren des Revolutionsjahres 1848 haben wohl auch in geistlicher Hinsicht Aufbruch und Neuanfänge gewirkt. Im August 1848 wurde in Wuppertal Barmen von Pfr. Feldner sowie 53 Pfarrern und anderen gläubigen Männern die „Evangelische Gesellschaft für Deutschland“ (EG) gegründet mit dem Ziel: „Wir wollen Deutschland evangelisieren!“

Diese Ursprünge überliefert der Rechtenbacher Vorsteher Johannes Seipp in einer kurzen Notiz: Um diese Zeit hat der Rechtenbacher Pfarrer Lindenborn einmal in Wetzlar gepredigt. Nach der Predigt kommt ein Wetzlarer Spielmann (G. Heineke, d. Verf.) zu ihm und fragt, ob er niemand wisse, der den Herrn Jesum lieb habe. Da verweist Lindenborn denselben in das Wetzlarer Krankenhaus, wo eine gläubige Oberschwester und ein gläubiger Krankenpfleger aus Jöllenbeck, der Gemeinde des (…) Pastors Volkening, stationiert waren. Da haben sie gesungen und gebetet und Gottes Wort betrachtet. Der Spielmann kam zum lebendigen Glauben und wurde später der erste Kolporteur der Evangelischen Gesellschaft im Kreise Wetzlar.

Der um 1925 in Wetzlar tätige Stadtmissionar Julius Schmidt schreibt in seiner Chronik weiter: Man darf wohl diese schlichte Zusammenkunft der drei Genannten im Krankenhause als den Anfang der Wetzlarer Gemeinschaft ansehen.

Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass es in Wetzlar und den umliegenden Dörfern einige wenige Gläubige bzw. an der Bibel Interessierte gab, die allerdings „keine genügende Pflege und keinen rechten Verkehr miteinander“ hatten. Dies änderte sich dann im Laufe der Zeit durch die Tätigkeit der bereits erwähnten „Kolporteure“. Diese waren in der Regel berufstätige Männer, die nach einer kurzen Einweisung und einem Bibelkurs als Hausmissionare von Ort zu Ort bzw. von Haus zu Haus zogen und christliche Literatur und Bibeln anboten. Die späteren hauptamtlichen ausgesandten Mitarbeiter der EG wurden „Boten“ genannt. Diese hielten dann auch Versammlungen und Bibelstunden ab.

Im Jahre 1851 schon finden sich die ersten Spuren der Tätigkeit des ersten von der Gesellschaft entsandten Kolporteurs. In Wetzlar, Leun, Ehringshausen und Daubhausen entstanden bereits 1852 regelmäßige Versammlungen.

Johannes Seipp, Rechtenbach

Johannes Seipp, Rechtenbach

1857 Die Anfänge in Hochelheim

Als zweiter „Kolporteur“ im Gebiet Wetzlar „folgte 1857 Bruder Lenz aus Hochelheim, und 1863 wurde Conrad Textor aus Leihgestern als Bote der Evangelischen Gesellschaft berufen, nachdem er schon etwa 10 Jahre nebenamtlich der Arbeit gedient hatte.“ Aus dieser Bemerkung können wir schließen, dass die allerersten Anfänge der Hochelheimer Gemeinschaft in diese Zeit um 1850 zurückreichen. Gesichert ist auf jeden Fall, dass die Gemeinschaft um 1870 bereits bestand.

Wie den Berichten zu entnehmen ist, entstanden aus der Kolporteurstätigkeit in den Ortschaften kleine Bibelkreise, die sich in den Privathäusern versammelten. Man wollte die Bibel lesen und verstehen. Zu diesem Zweck hielt der „Bote“, so er anwesend war, eine Bibelstunde. War er nicht da, so las einer der Anwesenden eine gedruckte Predigt z. B. von Ludwig Hofacker oder einen Abschnitt aus christlichen Kernschriften wie beispielsweise „Arnds wahres Christentum“. In der Regel wurde dann das Gehörte gemeinsam besprochen

Johann Arnds Wahres Christentum

Wie wir aus mündlichen Überlieferungen wissen, fanden solche Versammlungen in der „Scheffe-Gass“, heutiges Haus von Bruno Werner, statt. Dort gab es wohl einen größeren Raum, der auch als Klassenraum von der Volksschule genutzt wurde. Die Großeltern von Gertrud Velten, geb. Weihrauch, waren die Eheleute Viehmann. In ihrem Haus „in Äwels“ wurden diese Versammlungen dann fortgesetzt. Luise Zörb, die mit im Haushalt wohnende Schwester von Maria Viehmann, hielt dort auch viele Jahre Sonntagschule – ein großer Segen für viele Kinder des Dorfes. Das Haus wurde in den 50er Jahren durch einen Neubau ersetzt. Es ist das jetzige Anwesen der Familie Walter Velten.

Als die Zahl der Bibelstundenbesucher zunahm, versuchte man, dieser Versammlung auch eine äußerliche Ordnung zu geben. Da die Boten von der EG in Wuppertal gesandt waren, entschloss man sich im Jahre 1885, einen Zweigverein der EG zu gründen. Der genaue Gründungstag kann nicht mehr festgestellt werden. Nach dem Männer-Gesangverein „Frohsinn“ (1882) ist somit die Gemeinschaft der zweitälteste Verein in Hochelheim.

Die Gemeinschaft Hochelheim gehörte von Anfang an zum Gemeinschaftsgebiet Rechtenbach. Auf dem Grundstück des dortigen Vereinshauses wurde auch ein Predigerhaus errichtet, in dem dann in der Folgezeit die anfangs noch „Boten“ genannten Prediger wohnten.

Familie Viehmann mit Prediger Karl Trippler (im Hintergrund)

Spätestens im Jahre 1895, vermutlich noch früher, war Karl Trippler aus Daaden (Westerwald) erster Prediger in Rechtenbach.Er, wie auch alle seine Nachfolger, war zuständig für mehrere Gemeinschaften. Dabei predigte er im Wechsel mit den örtlichen Brüdern. Wenn Laienbrüder die Bibelstunde hielten, so predigten sie oft im Dialekt. Dabei standen sie in der Regel nicht am Katheder, sondern an einem Tisch vor der Versammlung.

In dieser Zeit gab es wie in den Kirchen so auch in den häuslichen Versammlungen und später auch im „Vereinshaus“ eine recht strenge Sitzordnung: in Hochelheim saßen vorne die Männer und hinten die Frauen. In anderen Orten gab es andere Sitten, z. B. rechts die Frauen und links die Männer. Erst um 1970 wurde diese Sitzordnung in der Gemeinschaft Hochelheim allmählich aufgegeben.

Neben den sonntäglichen Versammlungen hielten die Prediger auch in der Woche Bibelstunden und betreuten die entstehenden Jugendkreise. Aber auch seelsorgerliche Aufgaben wie Hausbesuche bei Alten, Kranken und Sterbenden gehörten zu ihren Aufgaben.

Bis heute ist es so, dass der Prediger für mehrere Gemeinden zuständig ist. Das starke ehrenamtliche Engagement der verschiedenen Mitarbeiter ist ein wesentlicher Bestandteil des Gemeindeverständnisses.

Erster Prediger in Rechtenbach: Karl Trippler mit Familie

1927 Bau des ersten Vereinshauses

Obwohl die Gemeinschaft recht früh als Zweigverein der EG auftrat, hat es – zumindest im Vergleich mit anderen Ortschaften im Kreis Wetzlar – relativ lange gedauert, bis man sich zum Bau eines eigenen „Vereinshauses“ entschließen konnte. „Im August 1880 konnte das Vereinshaus zu Großrechtenbach seiner Bestimmung übergeben werden. Ihm folgten weitere in Ehringshausen 1891, in Wetzlar 1894, in Reiskirchen 1898, in Niedergirmes 1900, in Asslar 1903, in Dutenhofen und Allendorf 1904, in Werdorf und Katzenfurt 1914, in Edingen 1922, in Laufdorf 1924, in Hochelheim 1927 …“.

Den Bauplatz „am Steinberg“ (jetzt Ecke Langgönser Str. / Lindenstr.) hat Familie Hartmannshenn gespendet. Es war ein mit Obstbäumen bepflanztes Grundstück von ca. 800 m², wovon mindestens ein Baum noch lange Zeit stehen blieb, denn das Kassenbuch weist noch viele Jahre lang Einnahmen aus, die aus dem Verkauf von Obst herrührten. Die anderen Familien, die zumeist Landwirtschaft betrieben, haben jeweils ein Schwein gemästet und den Erlös für den Hausbau zur Verfügung gestellt.

Wie Maria Althen (geb. Hartmannshenn) berichtete, hatte ihre Familie zwei gleich große Ferkel gekauft. Eins, das für den Verkauf zu Gunsten des Vereinshauses bestimmt war, wurde sofort gekennzeichnet. Dieses Schwein hat sich dann in der Folgezeit wesentlich besser entwickelt als das andere, war demzufolge am Schlachttag deutlich schwerer und brachte somit mehr Geld. Es war für die Familie eindrücklich zu erkennen, dass Gott etwas aus dem machen kann, was wir ihm zur Verfügung stellen.

Familie Hartmannshenn

Die zum Bau notwendigen Steine wurden in der „Lehmekaut“ (heute Waldstraße) von der Hochelheimer Baufirma Ludwig Schuster (selbst auch Gemeindemitglied) geformt und gebrannt. Der Rohbau wurde in Eigenleistung erstellt.

Die Zimmerarbeiten führte Johannes Schuster, der Onkel des späteren Zimmermeisters Heinrich Schuster, aus. Das Dach war ortsseitig mit Gauben versehen, die allerdings später aus statischen Gründen wieder abgebaut wurden.

Familie Ludwig Schuster

Später hingen an dieser Wand auch noch die Bilder mit Widmungen von im Krieg gefallenen Gemeindegliedern. Durch den späteren Einbau einer Lamellendecke ist das Wandgemälde vom Gemeindesaal aus nicht mehr sichtbar gewesen.

Gerade in der Zeit, die von Inflation und Arbeitslosigkeit geprägt war, war dieser Neubau eine herausragende Leistung, was auch im Dorf durchaus bewundernd zur Kenntnis genommen wurde.

 

 

Reste der Giebelbemalung oberhalb der Lamellendecke

In der Zeit des Nationalsozialismus musste das Vereinshaus, das bis dahin der örtlichen Gemeinschaft gehörte, dem Gesamtwerk in Wuppertal überschrieben werden, damit es weiterhin benutzt werden konnte.
Denn die Politik verbot es den christlichen Vereinen, sich in separaten Räumlichkeiten zu versammeln.
Pfarrer in Hochelheim war von 1925 bis 1934 der später im KZ Buchenwald ermordete Paul Schneider. Er hatte ein gutes Verhältnis zur Gemeinschaft.
Interessanterweise hat er an der Gemeinschaft bemängelt, sie sei zu stark kirchlich gebunden. Er hätte es lieber gesehen, wenn sie selbständiger gearbeitet hätte.
Das gute Verhältnis drückte sich auch darin aus, dass die Gemeinschaft Mitte der 30er Jahre bei einem Ausflug zum Niederwald-Denkmal einen Besuch bei Paul Schneider abstattete, als dieser schon nach Dickenschied im Hunsrück versetzt worden war.

Pfarrer in Hochelheim: Paul Schneider

Aus dieser Zeit ist uns auch ein privater Brief erhalten, den er an Friedrich Mack (sen.) geschrieben hat. Aus diesem Brief geht hervor, wie Pfarrer Paul Schneider unerschrocken für die Sache des Evangeliums einstand und sich in guter Gesellschaft mit den bekannten Kämpfern aus der bekennenden Kirche wie beispielsweise Daniel Schäfer oder Wilhelm Busch wusste.

Simmern, den 07.IV.37

Lieber Herr Mack,
herzlichen Dank für Ihren teilnehmenden Brief. Ein Beinbruch ist ja nicht das Schlimmste, und wir wollen ganz gewiß dankbar sein, daß die Sache so abgelaufen ist. Ihrer Frau Unfall war ja gewiß auch schmerzhafter und langwieriger. Wie lange mein Krankenlager dauern wird, kann ich noch nicht absehen. Ende der Woche soll der 1. Gipsverband erneuert werden, dann wird man sehen, wie weit die Knochen schon wieder zusammengewachsen sind. Jetzt habe ich fast gar keine Schmerzen mehr.

Die Stille, in die uns Gott führt, haben wir ja auch nötig, und vielleicht schadet es auch den Gemeinden nicht, daß sie eine Weile Urlaub von mir bekommen haben. Das wissen Sie ja von Hochelheim, daß die Gemeinden auch an mir schwer zu tragen haben und daß ich kein bequemer Pfarrer bin.

Sie waren alle in Wetzlar und haben Daniel Schäfer gehört. Hoffentlich ist es ihm gelungen, das schlafende Wetzlarer kirchliche Leben wachzurütteln und die Gemeinde in die Verantwortung des Glaubens zu rufen. Von Luise weiß ich, daß Sie auch in Gießen waren und den württemb. Landesbischof gehört haben. Was der Landesbischof im Großen tut, durfte ich vor meinem Unfall im Kleinen tun und Abend für Abend in Hunsrückdörfern Versammlungen halten mit dem Ruf zur Glaubensentscheidung für oder gegen Jesus Christus und die Kirche, die ihn allein als ihren Herrn bekennt. Auch dabei war fast immer eine vollzählige Beteiligung der Gemeinden.

So erleben wir bei aller Not und allem Druck, den die Welt heute auf uns legt, doch auch Großes, ein neues Erwachen und Fragen nach der rechten Kirche. Gott gebe, daß es nicht wieder gedämpft werde und unserem ganzen Volk zum Segen gerate. Daß in der vergangenen Woche in Darmstadt Pfarrer Wilhelm Busch aus Essen verhaftet wurde, weil er sich das Predigen nicht verbieten ließ, und mit ihm 3 Darmstädter Pfarrer, werden Sie gehört haben. Aber so ist es recht, an solchem Leidens- und Zeugenmut findet alle menschliche Macht ihre Grenze. Dann muß die Kraft der Zeugen lauter predigen als es ihr Mund gekonnt hätte.

Gott schenke auch Euch in HochelheimTreue im Bekenntnis des einen Namens, der über alle Namen ist, und mache Euch bereit, auch Gut u. Freiheit u. Leben dafür einzusetzen.
Es grüßt Euch herzlich, Euer Paul Schneider

Niederwalddenkmal

Die Nachkriegsjahre

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war in geistlicher Hinsicht eine karge Zeit. Der Rationalismus und die Aufklärung brauchten keinen Gott und so verflachte auch die biblische Verkündigung. In dieser Zeit jedoch, in den Jahren um 1830, war in Groß-Rechtenbach Pfarrer Lindenborn tätig, der als ein gewaltiger Bußprediger bezeichnet wird. Auf ihn gehen wohl die ersten Versammlungen außerhalb des sonntäglichen Gottesdienstes in Rechtenbach zurück.

„Privatversammlungen” in Privathäusern wurden mit einer Staatsverordnung vom 10. Juni 1835 untersagt. So wurden fortan die Stunden (…) im Verborgenen abgehalten. Unter diesen Zwängen litt auch die Arbeit in Groß-Rechtenbach. Erst 1848 wurde dieser Erlass wieder aufgehoben.

Die Wirren des Revolutionsjahres 1848 haben wohl auch in geistlicher Hinsicht Aufbruch und Neuanfänge gewirkt. Im August 1848 wurde in Wuppertal Barmen von Pfr. Feldner sowie 53 Pfarrern und anderen gläubigen Männern die „Evangelische Gesellschaft für Deutschland“ (EG) gegründet mit dem Ziel: „Wir wollen Deutschland evangelisieren!“

Diese Ursprünge überliefert der Rechtenbacher Vorsteher Johannes Seipp in einer kurzen Notiz: Um diese Zeit hat der Rechtenbacher Pfarrer Lindenborn einmal in Wetzlar gepredigt. Nach der Predigt kommt ein Wetzlarer Spielmann (G. Heineke, d. Verf.) zu ihm und fragt, ob er niemand wisse, der den Herrn Jesum lieb habe. Da verweist Lindenborn denselben in das Wetzlarer Krankenhaus, wo eine gläubige Oberschwester und ein gläubiger Krankenpfleger aus Jöllenbeck, der Gemeinde des (…) Pastors Volkening, stationiert waren. Da haben sie gesungen und gebetet und Gottes Wort betrachtet. Der Spielmann kam zum lebendigen Glauben und wurde später der erste Kolporteur der Evangelischen Gesellschaft im Kreise Wetzlar.

Der um 1925 in Wetzlar tätige Stadtmissionar Julius Schmidt schreibt in seiner Chronik weiter: Man darf wohl diese schlichte Zusammenkunft der drei Genannten im Krankenhause als den Anfang der Wetzlarer Gemeinschaft ansehen.

Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass es in Wetzlar und den umliegenden Dörfern einige wenige Gläubige bzw. an der Bibel Interessierte gab, die allerdings „keine genügende Pflege und keinen rechten Verkehr miteinander“ hatten. Dies änderte sich dann im Laufe der Zeit durch die Tätigkeit der bereits erwähnten „Kolporteure“. Diese waren in der Regel berufstätige Männer, die nach einer kurzen Einweisung und einem Bibelkurs als Hausmissionare von Ort zu Ort bzw. von Haus zu Haus zogen und christliche Literatur und Bibeln anboten. Die späteren hauptamtlichen ausgesandten Mitarbeiter der EG wurden „Boten“ genannt. Diese hielten dann auch Versammlungen und Bibelstunden ab.

Im Jahre 1851 schon finden sich die ersten Spuren der Tätigkeit des ersten von der Gesellschaft entsandten Kolporteurs. In Wetzlar, Leun, Ehringshausen und Daubhausen entstanden bereits 1852 regelmäßige Versammlungen.

Die neuere Vergangenheit

Die positive Entwicklung der Gemeinde setzte sich erfreulicherweise in den 70er Jahren fort. Der damalige Prediger Helmut Bauer (1970-1985, Ausbildung Bibelschule Beatenberg / Schweiz) trug mit seiner sehr seelsorgerlichen und manchmal auch mahnenden Art maßgeblich zur inneren Festigung der Gemeinde bei. Während seiner Dienstzeit entwickelte sich besonders der Jugendkreis weiter. Auch die Bibelstunden wurden neu belebt und gewannen durch seine gründliche Auslegung eine Tiefe, die von der Gemeinde sehr geschätzt wurde.

Helmut Bauer

In dieser Zeit wurden die begonnenen Modernisierungsmaßnahmen am Gemeindehaus fortgesetzt. Im Zuge des Einbaus neuer Fenster wurde der Seiteneingang des großen Saals durch ein Fenster ersetzt und nach hinten verlegt. Durch den neuen Eingangsbereich im Anbau, zu dem auch eine Küche und ein Abstellraum gehören, gelangt man in den kleinen Saal. Die alte Rollladen-Trennwand zum großen Saal wurde durch eine Faltwand ersetzt (1975 / 76). Dabei wurde auch der große Betonsturz eingebaut, an dem die Decke zum oben liegenden neugestalteten Jugendraum freitragend aufgehängt wurde. Der Gemeindesaal selbst wird mit einer Lamellendecke optisch modernisiert.

Seit dieser Zeit wird der große Saal regelmäßig für die Gottesdienste benutzt, die ehemals strenge Sitzordnung wird allmählich aufgegeben.

In früheren Jahren gab es jeweils einen Repräsentanten der Gemeinschaft, der als Ansprechpartner nach außen hin diente. Namentlich sind noch folgende Gemeinschaftsleiter bekannt: Ludwig Schuster sen. (bis 1945) und Wilhelm Schuster (bis 1958). Dann folgten Johannes Faber (bis 1980), Erwin Haupt (bis 1999) und Reinhard Faber (ab 2000).

Wilhelm Schuster | Johannes Faber | Erwin Haupt | Reinhard Faber

In den 70er und 80er Jahren entwickelte sich die frühere „Landeskirchliche Gemeinschaft“ immer mehr zu einer eigenständigen Gemeinde. Dies äußerte sich zum einen in strukturellen Fragen: seit 1980 wird die Gemeinde durch einen Ältestenkreis (Vorstand) geleitet. Die damaligen Ältesten waren Erwin Haupt (Gemeindeleiter), Wilhelm Vogt, Erich Schuster, Rudolf Schäfer, Helmut Kaus, Horst Serafin und Reinhard Faber. Seit dieser Zeit trifft sich dieses Gremium, zu dem auch der jeweilige Prediger gehört, in regelmäßigen Abständen, um die Anliegen der Gemeinde zu besprechen und voranzutreiben. Aber auch inhaltliche Ergänzungen des Gemeindelebens wie z. B. die regelmäßige Feier des Abendmahls oder später dann auch die Trauungen, die Kindersegnungen oder der biblische Unterricht sind eine konsequente und natürliche Fortführung der gemeindlichen Entwicklung.

Das Wichtigste in dieser Zeit war aber wohl das besonders ausgeprägte Miteinander in der Gemeinde. Es machte sie lebendig und auch für Fremde anziehend.

Neben der Teilnahme und Mitwirkung an überregionalen Veranstaltungen wie z. B. Sänger- und Posaunenfesten und Treffen der verschiedenen Gemeinschaftsverbände (Gnadauer Verband, EG-Jahresfeste) oder auch Mitarbeiter- und Vorstandsrüsten erfreuten sich ganz besonders auch die alljährlichen Gemeindefreizeiten im nahegelegenen Freizeitheim des CVJM in Rodenroth (Westerwald) großer Beliebtheit bei Jung und Alt.

Diese Familienfreizeiten und Gemeindeausflüge wie auch sonst die familiäre Atmosphäre der Veranstaltungen trugen wesentlich zu einem ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gemeinde bei.

Parallel dazu ließ sich gerade auch in den Gruppenstunden eine starke Bibelbetonung feststellen. In der Bibelstunde wie auch in der Jugendstunde wollte man gemeinsam im Verständnis des Wortes Gottes weiterkommen. So werden seit dieser Zeit beispielsweise in der wöchentlichen Bibel- und Gebetsstunde fortlaufende Bibeltexte studiert und besprochen.

Gemeindefreizeit in Rodenroth.

Gemeindefreizeit in Rodenroth.

Das starke Interesse an Mission setzte sich auch in den 70er und 80er Jahren fort. Mittlerweile gingen auch aus den eigenen Reihen verschiedene Missionare ins In- und Ausland: Hartmut und Monika Schuster (Österreich), Jürgen und Anette Schuster (Japan), Siegfried und Sabine Lang (Tansania), Esther Haupt (Uganda), später dann als Esther Probst mit ihrem Mann Ulrich in Zentralafrika. Ulrich und Ingrid Krieger sowie auch Hans-Joachim und Gisela Faber gingen nach ihrer Bibelschulausbildung in eine überregionale deutsche Missionsarbeit bzw. begannen eine Gemeindegründungsarbeit in Bayern. Neben diesen „eigenen Leuten“ unterstützte die Gemeinde auch Missionare, die z. B. von den benachbarten und befreundeten Gemeinschaften Rechtenbach (Fam. Neitzel, Japan) oder Lützellinden (Fam. Will, Äthiopien; Fam. Denner, Mali) ausgesandt wurden.

Missionspinnwand

Die späten 70er, die 80er und die frühen 90er Jahre waren auffällig durch eine intensive und lebendige Jugend- und Kinderarbeit geprägt. Die Jugendlichen unternahmen selbst viele Aktivitäten. Dabei traf man sich neben der schon erwähnten Jugendstunde oft auch auf privater Ebene zu Sport und Spaß, aber auch zu missionarischen Einsätzen oder Aktionen. Besonders mit dem in dieser Zeit aufblühenden Jugendchor, der als „Hüttenberger Jugendchor“ durchaus einen Namen hatte und viele Einsätze auch außerhalb der Gemeinde absolvierte. Mehrere Freizeiten, bei denen missionarische Aktivitäten befreundeter Gemeinden unterstützt wurden (z. B. in Österreich oder Bayern) trugen zur inneren Festigung des Jugendkreises bzw. des Chores aber auch der einzelnen Jugendlichen bei.

Jugendchor CD „Freude in Tönen“

Freizeit in Österrreich im Jahr 1976.

Von 1985 – 2003 hat Prediger Helmut Schneider (Ausbildung am Bibelseminar Wuppertal) als Gebietsprediger die Gemeinde betreut und begleitet. Seine Aufgabenschwerpunkte in unserer Gemeinde waren die Bibelstunden und die sonntäglichen Gottesdienste. Vorwiegend im Jugendbereich wurden die Mitarbeiter in den letzten Jahren von den jungen Zweitpredigern Klaus Riebesehl (1992-1997) und Uwe Bertelmann (1998 – 2006) unterstützt, die beide an der Freien Theologischen Akademie in Gießen ausgebildet wurden.

Die Prediger von links: Helmut Schneider (1985 – 2003), Klaus Riebesehl (1992 – 1997) und Uwe Bertelmann (1998 – 2006).

Die Gegenwart

Von 2002 bis Ende 2011 war Matthias Hennemann unser Pastor, der seine Ausbildung an der FTA in Gießen (jetzt Freie Theologische Hochschule) abgeschlossen hat. Er wechselte 2012 zum Dienst als Gemeinschaftsinspektor der Evangelischen Gesellschaft.

Mit dem Schwerpunkt Seelsorge und Besuchsdienst arbeitet seit 2003 Markus Neitzel mit. Er ist mit einer halben Stelle bei der ÜMG als Missionar unter Japanern in Deutschland beschäftigt.

Seit Oktober 2009 unterstützt uns Johannes Hackbarth in der Jugendarbeit (zusammen mit der Evangelischen Gemeinschaft Dornolzhausen und der Evangelischen Gemeinschaft Lützellinden).

Besonders aus der sich stark entwickelnden Jugend- und Kinderarbeit entstand mit der Zeit zwangsläufig ein Raumbedarf, dem das „Vereinshaus“ an der Langgönser Straße einfach nicht mehr gerecht werden konnte. Neben dem für die meisten Anlässe ausreichenden Gemeindesaal stand nur ein separater Gruppenraum zur Verfügung. Zwar ließ sich für manche Veranstaltungen der „kleine Saal“ mittels einer Faltwand vom großen Saal abtrennen. Dies war dann aber meist mit Umräumaktionen verbunden und außerdem wurde er dann mit der Zeit auch zu klein. Darüber hinaus bedurften auch einige technische Einrichtungen dringend einer Erneuerung, da sie mittlerweile nicht mehr dem gängigen Standard entsprachen.

Der erste Entwurf für den Gemeindehaussumbau im Mai 1996.

Ein weiterer Entwurf im Dezember 1997.

Deshalb wurde bereits seit Ende der 80er Jahre immer stärker über eine Erweiterung nachgedacht. Zunächst wurde lange über einen An- und Umbau diskutiert, der aber aus ganz unterschiedlichen Gründen immer wieder verschoben wurde. Die Möglichkeiten auf dem bestehenden Grundstück waren so starken Zwängen unterworfen, dass eigentlich keine uneingeschränkte Begeisterung für die verschiedenen Entwürfe und Ideen aufkommen wollte. Und dies ganz besonders nicht, wenn man die voraussichtlichen Kosten mit dem zu erwartenden Nutzen verglich.

1998 ergab sich dann überraschend die Möglichkeit, an anderer Stelle einen Neubau zu planen. Nach ausführlichen Beratungen entschloss sich die Gemeinde, diesen Neubau zu realisieren. Nach dem starken und eindeutigen Gemeindevotum für einen Neubau ermutigte dann auch die rege Spendentätigkeit der Gemeindeglieder den derzeitigen Ältestenkreis (Reinhard Faber – Gemeindeleiter; Thomas Offermann – Stellvertreter und Schriftführer; Günter Heidebrecht – Kassierer; Hartmut Serafin, Erwin Haupt und Helmut Kaus) zu weiteren Schritten in diese Richtung, so dass im April 2000 mit dem Neubau begonnen werden konnte. Und in der Bauphase selbst konnte man merken: der Neubau ist von der Gemeinde gewollt. Gut zwei Jahre lang haben viele Gemeindeglieder sehr viele Stunden ihrer Freizeit und ihres Urlaubs „auf dem Bau“ eingesetzt. Und das Ergebnis macht uns froh!

Parallel zum Bau des neuen Gemeindehauses hat sich auch die innergemeindliche Entwicklung fortgesetzt. Im Zusammenhang mit der Einführung einer Gemeindeordnung im Februar 2001, die das Gemeindeleben in gewissem Rahmen regelt, wurde der Gemeindename in „Evangelische Freie Gemeinde“ geändert. Damit wird der über viele Jahre hin gewachsenen Gemeindestruktur Rechnung getragen.

Das alte Gemeindehaus wurde inzwischen zu einem Wohnhaus umgebaut.

Die Zukunft

Am Leihgesterner Weg ließ sich keine neue Gemeinde nieder. Mit jetzt über 120 Jahren ist sie eher schon eine „alte Dame“. Aber die Gemeinde zog in ein neues Haus mit vielen neuen, zeitgemäßen Möglichkeiten. All die Prägungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit können und wollen wir nicht abstreifen, aber wir wollen auch Neues anfangen. All dies wollen wir nutzen, um auf das „alte Thema“, das Evangelium hinzuweisen. Diese frohe Nachricht von Jesus Christus ist aktueller denn je, zu ihm wollen wir einladen. Daran soll sich nichts ändern.

Wir sind sehr froh und Gott überaus dankbar, dass er uns bis zu diesem Punkt geleitet hat. Im Rückblick können wir deutlich seine Führungen erkennen. Wir bemerken seinen Segen – bis in die Gegenwart. Und wir wünschen uns beides – für die Zukunft.

von Erwin Haupt und Thomas Offermann